Offener Brief an Bürgervertreter-innen 30.05.2025

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Brandbrief zur humanitären Katastrophe in Gaza – Menschlichkeit duldet keinen Aufschub

Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Mitglieder der Landesparlamente,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der politischen Parteien in Niedersachsen und ganz Deutschland,

In Gaza spielt sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine humanitäre Katastrophe ab, die in ihrer Grausamkeit und ihrem Ausmaß kaum noch zu begreifen ist. Die gezielte Blockade von Hilfslieferungen durch die israelische Regierung, die ununterbrochenen Bombardierungen und der systematische Angriff auf zivile Infrastruktur haben hunderttausenden Menschen jede Lebensgrundlage genommen. Kinder sterben an Hunger. Verletzte verbluten in zerstörten Krankenhäusern. Familien werden unter Trümmern ausgelöscht.

Wir verurteilen die Gewalt gegen israelische Zivilistinnen und Zivilisten ohne jede Relativierung. Doch der 07.10.2023 ist nicht aus dem Nichts entstanden. Jahrzehntelange Besatzung, Entrechtung, Blockadepolitik, systematischer Landraub, Siedlungsgewalt und immer neue Eskalationen haben eine Realität geschaffen, die den Weg in die Katastrophe geebnet hat. Dass die israelische Regierung zudem mehrfach Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln durch Gefangenenaustausch torpediert hat, ist inzwischen gut dokumentiert – auch das darf nicht länger ausgeblendet werden. Der 7. Oktober darf nicht als Rechtfertigung für Kollektivstrafen, ethnische Vertreibungen oder die vollständige Zerstörung ganzer Stadtteile herhalten – weder im Gazastreifen noch in der Westbank, wo Siedlerterror und Enteignung weiter eskalieren.

Umso erschreckender ist die Sprache, die in der israelischen Öffentlichkeit – teils von offiziellen Stellen – inzwischen ganz offen verwendet wird:

  • Ein Regierungsmitglied forderte wörtlich: „Kein Kind in Gaza darf überleben.“
  • Ein prominenter Journalist rief nach einem „Holocaust in Gaza“.
  • Ein Politiker sprach von einem „Auschwitz-Ausgang“ für die Menschen in Gaza.

Diese Aussagen erinnern auf erschütternde Weise an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Sie entmenschlichen gezielt, um das Töten zur Strategie zu machen. Dass solche Worte – in Deutschland – keine Empörung, keine klare Verurteilung, nicht einmal einen Kommentar der Bundesregierung hervorrufen, ist absolut befremdlich. Wir wiederholen diese Aussagen nicht leichtfertig – sondern weil sie Realität sind. Und weil sie nicht ignoriert werden dürfen.

Auch innerhalb Israels mehren sich inzwischen die Stimmen, die die eigene Regierung scharf verurteilen. So sagte Jair Golan, ehemaliger Offizier und Mitglied des israelischen Parlaments (Demokratische Partei), in einem Interview: „Israel murders children as a hobby“ („Israel ermordet Kinder als Hobby“). Wer solche Worte hört – aus dem eigenen Land, von ehemaligen Führungspersonen –, kann die Realität nicht mehr verleugnen.

Der aktuelle Bundeskanzler Herr Friedrich Merz und der neue Außenminister haben mittlerweile eingeräumt, dass das Ausmaß der Gewalt gegen Zivilisten nicht mehr zu rechtfertigen ist. Doch was folgte auf diese Erkenntnis? Keine Konsequenzen. Keine politischen Maßnahmen. Keine Kurskorrektur.

Im Gegenteil: Viele Politikerinnen und Politiker – auch aus Ihrer Mitte – haben seit dem 7. Oktober wiederholt eine bedingungslose Solidarität mit Israel öffentlich bekundet. Diese Solidarität wurde auf Pressekonferenzen, in Statements, in sozialen Netzwerken sichtbar gemacht. Gleichzeitig hat es für das Leid der palästinensischen Bevölkerung, für die hungernden Kinder, für die Trauernden, für die unzähligen Toten in Gaza kein klares, öffentliches Wort gegeben.

Diese Einseitigkeit ist nicht mehr zu erklären – und schon gar nicht zu rechtfertigen.

Die Behauptung, zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen würden als Kommandozentralen dienen, wird regelmäßig als Rechtfertigung für ihre Bombardierung angeführt. Doch diese Erzählungen sind weder belegt noch unabhängig verifiziert – und dennoch werden sie in Deutschland oft ungeprüft übernommen. Das ist nicht nur verwerflich, sondern auch politisch unverantwortlich.

Der Angriff auf zivile Infrastruktur bleibt ein Bruch des Völkerrechts – ohne Ausnahme.

Deshalb fordern wir Sie auf:

  • Fordern Sie einen sofortigen Waffenstillstand und setzen Sie sich für einen ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfslieferungen nach Gaza ein.
  • Erheben Sie Ihre Stimme öffentlich – nicht nur für israelisches, sondern auch für palästinensisches Leben.
  • Nutzen Sie Ihre politischen Kontakte, um Druck auf die Bundesregierung und internationale Partnerauszuüben.
  • Sprechen Sie mit den Betroffenen hier – denn überall in Deutschland, nicht nur in Braunschweig oder Wolfsburg, leben Menschen, die Angehörige verloren haben, um ihre Familien bangen und sich von der Politik im Stich gelassen fühlen.

Es geht nicht um politische Sympathien. Es geht um Leben und Tod. Und es geht darum, ob das moralische Fundament unseres Landes Bestand hat.

Wer heute schweigt, obwohl das Leid sichtbar ist, verliert das Recht, später von Menschlichkeit zu sprechen.

Handeln Sie bitte. Jetzt.

Mit tiefster Besorgnis und im Namen unzähliger Betroffener und solidarischer Menschen,
Die palästinensische Gemeinde in Braunschweig, Wolfsburg und Umgebung & alle solidarischen Menschen in Deutschland